Arbeitslosenzentrum

Forderungen der beiden Arbeitsloseneinrichtungen Herne an die Politik angesichts steigender Preise und zu gering bemessener Sozialleistungen

Handout zur Pressekonferenz am 27.09.2022

Forderungen - Zusammenfassung:

 Staatliche Hilfen müssen diejenigen erreichen, die ihrer bedürfen – nicht alle benötigen die Möglichkeit auf ein 9€ -Ticket oder die Energiepauschale. Noch benötigen Reiche Kindergeld. Dies bedeutet:  nicht länger mit der Gießkanne Entlastungen gewähren, sondern zielgerichtet Bedürftige unterstützen, z.B. durch deutlich erhöhte Transferleistungen und negative Einkommenssteuer auf niedrige Einkommen. Immer weiter fortschreitende Verarmung und Verschuldung sind nicht hinnehmbar und stehen dem christlichen Menschenbild diametral entgegen.

Reichtum ist hier und weltweit rasant gewachsen – gleichzeitig wächst die Armut. Reiche müssen stärker in der Pflicht genommen werden. Das fordert auch der Club of Rome.

Allen Menschen muss ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden. Dazu müssen Sozialleistungen entsprechend angehoben werden. Die Höhe der Regelleistung sollte sich also nicht nach dem Einkaufsverhalten armer Menschen bemessen, sondern daran was ein Mensch benötigt, um ein Leben in Würde und mit Teilhabechancen führen zu können. Außerdem müssen die tatsächlichen Wohn- und Energiekosten übernommen und Energiesperren gesetzlich verboten werden.

Sozialleistungsbezieher werden latent diffamiert – durch Teile der Politik, in Medien, gesamtgesellschaftlich. Oft ist von mangelnder Motivation als Erklärung für Sanktionen oder notwendige Anreize die Rede – Die Realität ist eine Andere. Das bestehende Hartz IV-System demotiviert, bremst aus, bedrückt, macht krank, bringt Menschen in Existenznot.  – Wieder ist beim neuen Bürgergeld von Augenhöhe und verbesserter Kommunikation die Rede. All das wurde auch bei Einführung von Hartz IV propagiert. Es braucht keine Sanktionen, sondern ein verantwortungsvolles Miteinander zwischen Leistungsbezieher und Behörde. Dazu gehören auch die Zugänglichkeit und Erreichbarkeit der Sozialbehörden.

 

Die Schere geht immer weiter auf – Soziale Gerechtigkeit Fehlanzeige

Einige Fakten:

  • Die Armut in Deutschland erreicht mit 13,8 Mill. Betroffenen (Armutsquote 16,6%) 2021 einen Höchststand
  • Der Aufwärtstrend in der Armutsentwicklung begann 2006, ein Jahr nach Einführung des SGB II (Hartz IV)
  • 2021 gab es 300.000 Arme mehr als im Vorjahr und 600.000 Arme mehr als vor der Pandemie
  • Dabei stieg das BIP um 2,9%
  • 2021 wuchs in Deutschland die Zahl der Dollar-Millionäre um 6,4% auf 1,6 Millionen - Ihr Vermögen stieg um mehr als 7% auf 6,3 Millionen Do2022 besitzen die reichsten drei Familien/Personen Deutschlands so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung
  • Im Durchschnitt besitzt die untere Hälfte 3.682 € (DIW). Mit 22.800 € zählt man schon zur reicheren Hälfte
  • Während der Pandemie wuchs der Reichtum der Allerreichsten weltweit stärker als in den 23 Jahren davor
  • Vor dem 3. Entlastungspaket ermittelte das Institut für Makroökonomie der Hans-Böckler- Stiftung, dass Einkommensmillionäre durch die politischen Entlastungsmaßnahmen mit 326 € am meisten profitierten – Menschen mit einem Jahreseinkommen bis 10.000 € wurden mit 300 € entlastet.
  • Risikogruppen, die besonders von Armut betroffen sind: Alleinerziehende 41,6%; Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit 35,3%; Menschen mit niedrigem Bildungsniveau 32,1%; Haushalte mit 3 und mehr Kindern 31,6%
  • Das Ruhrgebiet kann als armutspolitisches Problemgebiet Nummer 1 bezeichnet werden. Von seinen 5,8 Millionen Einwohnern gelten 1,2 Millionen als arm (Armutsquote = 21,1%). Berlin hat mit 3,7 Millionen Einwohnern eine Armutsquote von 19,6% (= 725.200 Betroffene) und Bremen bei 680.130 Einwohnern eine Quote von 28,0% (= 190.400 Betroffene).
  • SGB II – Quote im Ruhrgebiet 14, 4% - In Herne 18,2%
  • SGB II – Quote bei Kindern im Ruhrgebiet 22,9% - In Herne 28,7%

 

Grundsicherungsleistungen schon vor der Pandemie unzureichend

  • Bereits in der Zeit vor der Pandemie waren die Regelleistungen der Grundsicherungssysteme zu niedrig. Die Regelbedarfsermittlung wird nicht direkt vor dem Hintergrund der aktuellen Preisentwicklung vorgenommen. In fünfjährigem Abstand wird die sog. Einkommens- und Verbrauchstichprobe erhoben.

Für die Regelbedarfsermittlung werden daraus die Ausgaben der Haushalte der unteren 20 Prozent der Einkommen (bei Einpersonenhaushalten: der unteren 15 Prozent) als Referenzgruppe zu Grunde gelegt. Es kommt dabei zu Zirkelschlüssen, weil Haushalte, die unterhalb des Existenzminimums leben, nicht konsequent aus der statistischen Vergleichsgruppe ausgeschlossen werden. Dadurch werden z.B. Haushalte, die selbst Anspruch auf Sozialleistungen hätten und diese nicht in Anspruch nehmen (sog. verdeckt Arme) oder Haushalte, die neben der Transferleistung Erwerbseinkommen erzielen (Aufstocker), zum Maßstab der festzulegenden Höhe der Sozialleistungen. Jährlich werden dann die Regelsätze angepasst, indem ein Mischindex aus 70% Preisentwicklung und 30% Nettolohnentwicklung angewandt wird. So stieg die Regelleistung für Alleinstehende in 2022 um 3 € auf 449 €.

Zudem werden Ausgaben als nicht regelbedarfsrelevant definiert und gestrichen (neben Alkohol und Tabak gehören dazu u.a. auch Schnittblumen, Zimmerpflanzen und Haustiere).

Als lebensfremd sind die monatlichen Ansparbeträge für Waschmaschine – 1,71 €   und Kühlschrank 1,72 € zu bezeichnen.

In der Regelleistung stehen einem Alleinstehenden 2022 beispielsweise zur Verfügung:

  • 5,19 € täglich für Nahrungsmittel und Getränke
  • 36,41 € monatlich für Haushaltsenergie
  • 10,59 € monatlich für den Besuch von Sport- und Kulturveranstaltungen
  • 11,72 € monatlich für Beherbergungs- und Gastronomieleistungen
  • Jeweils 1,72 €/1,71 € als monatlicher Ansparbetrag für die Anschaffung von Kühlschrank/Waschmaschine

Hilfen für Arme in der Pandemiezeit unzureichend 

  • Nach einem Jahr Einmalzahlung für Grundsicherungsleistungsempfänger in Höhe von 150 €
  • Weiterhin nur Einmalzahlungen - Ausnahme: Regelsatzerhöhung um 20€ für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene als Überbrückungslösung vor der Einführung einer sog. Kindergrundsicherung
  • Dem gegenüber stehen Entlastungsleistungen nach dem Gießkannenprinzip, statt zielgenau arme Menschen zu entlasten:
    • Mehrwertsteuersenkung
    • Kinderbonus – Entlastung für Familien unter der Armutsgrenze = 840€

Entlastung für Familien mit unter 10.000€ Jahreseinkommen     = 800€

Entlastung für Einkommensmillionäre = 649€

  • Alle Maßnahmen betrachtet profitieren die Einkommensmillionäre am meisten
  • Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise belastet ärmere Haushalte ungleich mehr

Die Ausgaben für Lebensmittel der ärmeren Haushalte sind zwar geringer als die der der Haushalte mit höherem Einkommen, die monatlichen Ausgaben nehmen aber einen wesentlich höheren Anteil am Gesamthaushaltsbudget ein.

  • Haushaltseinkommen unter 900 € - Ausgaben für Lebensmittel 155 € = 17,2%
  • Haushaltseinkommen 2000-2600 € - Ausgaben für Lebensmittel 268 € = 11,7%
  • Haushaltseinkommen 5000 € u. mehr - Ausgaben für Lebensmittel 480 € = 9,6%
  • Bei dem Anstieg der Kosten für die Haushaltsenergie ist bedenklich, dass in vielen ärmeren Haushalten energieintensive Altgeräte Verwendung finden.
  • Darüber hinaus ist der Anteil für Haushaltsenergie in der Regelleistung mit derzeit 36,41 € für den Alleinstehenden zu gering.
  • Arme Menschen leben oft in schlechterer Bausubstanz – zahlen deshalb höhere Heizkosten
  • Für die Energiepauschale von 300 € wurde „vergessen“, diese vor Pfändung zu schützen

 

Was muss sich dringend ändern? -Bewertung nach dem 3. Entlastungspaket

  • Deutliche Anhebung der Regelleistung auf mindestens 650€ (Der DPWV fordert in seinem Armutsbericht 2022 eine Erhöhung des Eckregelsatzes von derzeit 449 auf 678€) – 502 € sind nicht bedarfsdeckend
  • Als Überbrückung bis zur Einführung des Bürgergeldes Aufstockung der Regelleistung um mindestens 200€ monatlich – Die Anhebung kommt mit dem 01.01.2022 viel zu spät!!!
  • Ein regelmäßiger und zeitnaher Inflationsausgleich – im Entlastungspaket in Aussicht gestellt
  • Übernahme der tatsächlichen Wohnkosten (nicht nur in den ersten beiden Jahren, wie für das Bürgergeld vorgesehen) – Obwohl bis 12.2022 bei Neuanträgen die Angemessenheitsfiktion greift (= Kosten sind in der tatsächlichen Höhe zu übernehmen), bekamen 2021 15,4% der Bedarfsgemeinschaften (Altfälle) nicht die tatsächlichen Kosten. Durchschnittlich mussten sie 91 € (= 15,3% der Gesamtkosten) zuzahlen, da die geltenden Angemessenheitsgrenzen zu niedrig angesetzt sind
  • Für alle Einkommensarmen die bedingungslose Übernahme der Energiekosten bis zu einem Verbrauch, der alle existenziellen Bedürfnisse sichert
  • Die tatsächlichen Stromkosten sind zusätzlich zu gewähren. (Orientierung am Stromspiegel). Außerdem Berücksichtigung individueller Umstände, die einen höheren Verbrauch auslösen, z.B. Krankheit und Nutzung besonderer Geräte in diesem Zusammenhang, „Stromfressende“ Altgeräte – Die Strompreisbremse soll durch eine preisgünstigere Basisversorgung und gedeckelte Netzendgelte greifen und alle Bürger und kleine Unternehmen entlasten. Hier bleibt abzuwarten, wie sich das konkret auf Leistungsbezieher auswirkt, da der derzeitige Anteil für Strom in der Regelleistung für Alleinstehende von gut 36 € (= sehr niedriger Jahresverbrauch von1350 Kilowattstunden) viel zu gering ist.
  • Extraleistungen für die Ersatzbeschaffung von energiesparenden Haushaltsgeräten (Weiße Ware soll nicht länger Bestandteil der Regelleistung sein, sondern sollte zusätzlich gewährt werden.)
  • Übernahme der tatsächlichen Heizkosten – Schon in 2021 erhielten 86.000 Bedarfsgemeinschaften nicht die tatsächlichen Heizkosten. Sie zahlten durchschnittlich 34 € und somit 30% der Gesamtkosten aus ihrer Regelleistung zu. Die Umsatzsteuer für Gas wird bis 03.24 auf 7% festgesetzt. CO2 Preis - auf fossile Brennstoffe – 5€ pro Tonne- wird bis 01.24 ausgesetzt. Ab Oktober kommt die staatliche Gasumlage von 2,4 Cent, auch hierdurch werden Ärmere stärker belastet. Auch die mögliche Gaspreisbremse (= gedeckelter Preis für ca. 80% des bisherigen Verbrauchs) wirkt als Gießkanne und entlastet eher Menschen in energieeffizientem Wohnraum und nicht ärmere Menschen in unsaniertem Wohnraum.
  • Aktuell: die unbürokratische Übernahme der absehbar erhöhten Abschläge und Nachzahlungen durch alle Jobcenter und Sozialämter
  • Ein gesetzliches Verbot von Strom- und Gassperrungen, wenn Privathaushalte betroffen sind – in der Presse wurde zum Entlastungspaket 3 von einem Schutz (?) der betroffenen Haushalte berichtet
  • Erhöhung der Einkommensgrenzen und Orientierung an der Warmmiete bei Wohngeld und somit eine Anpassung von Wohngeldberechtigung an die Armutsschwelle. (Derzeit erhalten von 7,7 Millionen armer Haushalte nur 4 Millionen Grundsicherung bzw. Wohngeld – davon 700.000 Wohngeld) – Einkommensgrenze soll so angehoben werden, dass 2 Millionen Haushalte leistungsberechtigt wären. Somit würden aber erst 5,3 Millionen Haushalte von den 7,7 Millionen armer Haushalte Leistungen beanspruchen können. In 2022 wird ein einmaliger Zuschuss zum Wohngeld ausgezahlt (1 Person: 415 €; 2Personen: 540 €; jede weitere Person 100 €)
  • Erhöhung der Einkommensgrenzen beim Bafög – einmaliger Heizkostenzuschuss für alle Studierenden und Fachschüler von 200 €
  • Einführung einer Kindergrundsicherung – Erhöhung Kindergeld für Kinder 1-3 um jeweils 18 € - Erhöhung des Kinderzuschlags um 21 € auf 250 €. Kindergeld beziehen auch vollhabende Menschen auf SGB II- Leistungen wird es dagegen angerechnet
  • Schaffung einer armutsfesten Mindestrente – 300 € Energiepauschale auch für Rentner. Zukünftig sollen Beiträge zur RV steuerlich absetzbar sein und erst die Rente besteuert werden – Vermeidung Doppelbesteuerung: Jetzige Rentner unterliegen aber dieser.
  • Eine effektive Mietpreisdämpfungspolitik
  • Stärkung der Arbeitslosenversicherung und Verlängerung der Bezugsdauer und Mindestarbeitslosengeld über Hartz IV-Niveau
  • Abschaffung des Systems SGB II und ALG-Bezug für die gesamte Dauer der Erwerbslosigkeit
  • Abschaffung von Sanktionen und Sperrzeiten – Bei Bezug von Bürgergeld sollen Sanktionen wegen Pflichtverletzung ausgesetzt werden. Diese machen ohnehin nur 22% aller Sanktionen aus. Der Großteil der Sanktionen bezieht sich auf Meldeversäumniss
  • Mehr und bessere Qualifikationen
  • Gestiegene Energiepreise - Unterstützung für Betroffene

Die gestiegenen Preise für Energie werden viele soziale Notlagen auch in unserer Stadt hervorrufen. Deshalb werden Unterstützungen durch Fonds (Herne solidarisch), Mittel der ev. Landeskirche und des Bistums aus den Kirchensteuereinnahmen durch die Energiepauschale, Diakoniekassen, o.ä. oder sogar Wärmestuben unumgänglich werden.

Darüber hinaus müssen die betroffenen Menschen darüber informiert werden, dass sich durch höhere Abschläge und Nachforderungen Ansprüche auf (höhere) Sozialleistungen ergeben können.

Bei Erhöhung der Pauschale auf Grund der Preisentwicklung und bei Nachforderungen bei Heizkosten müssen die Grundsicherungssysteme diese im Rahmen der Kosten der Unterkunft übernehmen.

Bei Erhöhung der Pauschale auf Grund der Preisentwicklung und bei Nachforderungen bei

Haushaltsenergie, ist die Lage nicht so eindeutig. Aber sowohl das SGB II (Hartz IV) als auch SGB XII (Sozialhilfe) und das Asylbewerberleistungsgesetz haben entsprechende Paragrafen, die im Kern Härtefallregelungen darstellen, und Ansprüche als Beihilfe oder als Darlehen (bei gleichzeitigem Verzicht auf Rückzahlungen) ermöglichen. Dieses müsste ggf. gerichtlich eingeklagt werden.

Auch Nichtleistungsbezieher können aus besagtem Grund Ansprüche nach dem SGB II/XII haben. Bedeutsam ist hier, dass die Leistungen im Monat der Fälligkeit beantragt werden. Die Empfehlung hier: Beratung, Nutzung von SGB II-Rechner im Netz, im Zweifelsfall Antrag beim Jobcenter/Sozialamt im Monat der Fälligkeit stellen.

Für Menschen, die derzeit Wohngeld und/oder Kinderzuschlag beziehen, könnte es sein, dass sie auf Grund der höheren Zahlungen dann in den Kreis der SGBII/XII-Empfangen fallen. In diesem Zusammenhang werden die Neuregelungen zum Wohngeld und Kinderzuschlag bedeutend sein, die den Kreis der Berechtigten erweitern.